9 Monate INH bei latenter Tuberkulose – Zeit zum Umdenken?!

Aktuelle Therapieempfehlung bei latenter Tuberkulose (Tbc) ist eine 9monatige Isoniazid (INH)-Monotherapie. Deren Wirksamkeit (Verhinderung des Übergangs in eine aktive Tbc) wurde sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern belegt. Die lange Behandlungsdauer bei asymptomatischen Patienten resultiert jedoch in einer schlechten Compliance. Um diese zu verbessern, wurde immer wieder nach kürzeren Therapie-Schemata gesucht.

Eine verkürzte INH-Monotherapie von nur 3 Monaten senkt das Tbc-Risiko lediglich um 21%, verglichen mit 65% und 75% bei einer Einnahmedauer von 6 bzw. 12 Monaten.

Eine zweimonatige Pyrazinamid-Rifampicin-Therapie konnte sich wegen gehäuften Auftretens schwerer Lebertoxizität (Grad 3/4) nicht durchsetzen.

Bereits 1998 wurde von der British Thoracic Society ein 3monatiges Regime mit INH plus Rifampicin (RMP) als alternative Kurzzeittherapie empfohlen. Eine im März 2005 im Clinical Infectious Diseases (CID) publizierte Metaanalyse zeigte bei Erwachsenen, dass die 3monatige INH/RMP-Kombinationstherapie verglichen mit dem Standard einer 9monatigen INH-Monotherapie bezüglich Wirksamkeit, Rate schwerer Nebenwirkungen und Mortalität ebenbürtig ist. (CID 2005;40:670-6)

Im CID vom 15.09.2007 wurden nun die Resultate einer von 1995 bis 2005 in Griechenland durchgeführten, prospektiven, randomisierten, kontrollierten Studie vorgestellt, welche bei unter 15jährigen Kindern mit latenter Tuberkulose die Wirksamkeit einer 3- bzw. 4monatigen INH/RMP-Kombinationstherapie mit der einer 9monatigen INH-Monotherapie verglichen hat. (CID 2007;45:715-22)

Eingeschlossen wurden asymptomatische Kinder mit einem positiven Tuberkulintest (Induration >=8mm bei Alter <3J. bzw. >=10mm bei Alter >=3J.), die Kontakt mit einem Index-Fall hatten oder ein mit einer latenten Tuberkulose vereinbares Thorax-Röntgenbild (inaktive fibrotische oder kalzifizierte Parenchym- und/oder Lymphknoten-Veränderungen). War die Induration im Tuberkulintest bei den <=3jährigen >=10mm bzw. bei den >3jährigen >14mm, so genügte dieser isolierte Befund als Einschlusskriterium. Von der Studie ausgeschlossen wurden hingegen Patienten mit St.n. BCG-Impfung, mit Immundefizienz oder chronischen, das Tuberkulintestresultat beeinflussenden Erkrankungen.

In einer ersten Phase (1995-1998) erhielten die Patienten entweder während 9 Monaten eine INH-Monotherapie (10mg/kg KG 1x tgl., max. 300mg) (Gruppe A) oder während 4 Monaten eine INH/RMP-Kombinationstherapie (jeweils 10mg/kg KG, max. 300 bzw. 600mg) (Gruppe B). In einer zweiten Phase (1999-2002) wurden 4 und 3 Monate INH/RMP-Kombinationstherapie miteinander verglichen (Gruppe C bzw. D). Die Gruppen A, B, C und D umfassten jeweils ca. 230 Patienten. Der Beobachtungszeitraum betrug bei allen Patienten mindestens 3 Jahre (wiederholte thoraxradiologische Kontrollen: zu Therapiebgeinn, nach 4 bzw. 3 Monaten sowie 1 und 3 Jahre nach Therapieabschluss).

Die Compliance (INH-Metaboliten- bzw. RMP-Nachweis im Urin sowie Einhalten der Follow-up-Termine) war in der INH-Monotherapie-Gruppe signifikant schlechter (Gruppe A versus B, p = 0,011), wohingegen sich zwischen 3 und 4 Monaten INH/RMP-Kombinationstherapie kein Unterschied fand (Gruppe C versus D, p = 0,510).

Keiner der Studienteilnehmer entwickelte während des Beobachtungszeitraums eine klinische Erkrankung. Neue radiologische Veränderungen als Hinweis auf eine mögliche aktive Erkrankung traten jedoch häufiger in der INH-Monotherapie-Gruppe auf (24% in Gruppe A versus 11,8% in Gruppe B, p = 0,001; dagegen kein Unterschied zwischen 3 und 4 Monaten INH/RMP).

In keiner der vier Therapiegruppen wurden schwere Arzneimittelnebenwirkungen beobachtet. Entsprechend war bei keinem der Patienten ein Therapieabbruch oder eine Therapiemodifikation nötig. Als Nebenwirkungen traten auf: Nausea/epigastrische Schmerzen (6,5% unter INH-Mono, 0,7% unter INH/RMP-Kombi), vorübergehende Leberwerterhöhung (<=3x ULN) (6% unter INH-Mono, 1,2% unter INH/RMP-Kombi), vorübergehender makulopapulöser Ausschlag (1,3% unter INH/RMP-Kombi) sowie Photosensitivitätsreaktion (0,7% unter INH/RMP-Kombi).

Zusammenfassend konnte somit gezeigt werden, dass bei Kindern mit latenter Tuberkulose eine 3monatige INH/RMP-Kombinationstherapie bezüglich Compliance und Wirksamkeit dem gegenwärtigen Standard von 9 Monaten INH überlegen ist. Im Gegensatz zur Pyrazinamid/RMP-Kombinationstherapie traten keine schweren Nebenwirkungen auf.

Da die im 2005 publizierte Metaanalyse bei Erwachsenen in die gleiche Richtung weist (CID 2005;40:670-6), stellt sich nun die Frage, ob der derzeitige Standard von 9 Monaten INH bei latenter Tuberkulose nicht überdacht werden muss. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass die INH/RMP-Kombinationstherapie noch einige weitere wesentliche Vorteile aufweist:

1) Wirksamkeit auch bei INH-resistenten (RMP-sensiblen) Mycobakterien,

2) geringeres Risiko für eine Resistenzentwicklung und

3) im Falle einer Misklassifikation (d.h. fälschlicherweise Annahme einer latenten Tbc bei Vorliegen einer aktiven) wäre der Patient trotzdem bereits von Anfang an adäquat behandelt.