Tuberkulose: Wie hoch ist das Erkrankungsrisiko bei pos. Hauttest?

M. tuberculosis, der Erreger der Tuberkulose, hat sich darauf spezialisiert, im Organismus eine Latenzphase zu etablieren. Unter gewissen Umständen kommt es zur Reaktivierung der Tuberkulose. Das Risiko einmal im Leben eine Reaktivierung der Tuberkulose zu erleiden, wurde von C. Horsburgh berechnet.

Wenn es im ersten Jahr nach der Ansteckung nicht zur Krankheit kommt, so kann sich die Tuberkulose in aller Stille in einer Primärläsion verstecken. Ein indirektes Zeichen, welches auf die Persistenz des Erregers im Organiskus hinweist ist die positive Tuberkulin-Reaktion. Bei diesem Hauttest messen wir die Immunreaktion des zellulären Immunsystems auf Mykobakterien. Dazu sprizen wir eine standardisierte Menge eines attenuierten Mykobakterienstammes in die Haut und messen nach 2-3 Tagen den Durchmesser der Induration. Der Test ist sehr abhängig von der Technik: Wir die Probe nicht streng intracutan appliziert, kann die Induration ausbleiben. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass der Test auch nach einer Tuberkulose-Impfung positiv anzeigt. Seit Mitte der 80-er Jahre wurde in der Schweiz die routinemässige Tuberkulose-Impfung von Neugeborenen aufgehoben.

Die Special Perspective in der Ausgabe des NEJM vom 13.5.04 ist eine „one-man-show“. Der Alleinautor hat aus der bestehenden Literatur die jährlichen Risiken einer Tuberkulose-Aktivierung bei verschiedenen Tuberkulin-Testresultaten zusammengetragen. Dann hat er für verschiedene Risikosituationen das relative (jährliche) Risiko einer Erkrankung errechnet und in der Folge das Gesamtrisiko, im Verlaufe des Lebens an Tuberkulose zu erkranken einberechnet. Dazu hat er die Überlebensrate der US-Bevölkerung verwendet und auch den Abfall des Risikos mit länger zurückliegender Exppsitionsdauer (10% pro Dekade) in die Berechnung einbezogen. Die Abbildung zeigt das lebenslange Erkrankungsrisiko für verschiedene Altersgruppen in Abhängigkeit von der Grösse der Tuberkulin-Haut-Reaktion (TST) bei Personen, ohne dokumentierte Tuberkulin-Konversion.

Aus dieser Berechnung kann man nun ableiten, für welche Risikosituationen ein hohes Erkrankungsrisiko besteht. In Situationen mit einem Erkrankungsrisiko von 10-20% oder über 20% dürfte sich eine sechsmonatige präventive Behandlung mit INH lohnen.

Situationen mit > 20% Risiko einer Reaktivierung:

  • unbehandelte HIV-Infektion und >10mm TST

  • Befund einer alten, „geheilten“ Tuberkulose und > 10mm TST

Situationen mit 10-20% Risiko einer Reaktivierung

  • Personen mit kürzlich dokumentierter TST-Konversion

  • Personen < 35 J, mit TST > 15mm und zusätzlicher Infliximab-Therapie

  • Kinder unter 5 Jahren mit > 10mm TST

 

Gelten diese Resultate auch für uns ?

Die Lebenserwartung und die biologischen Voraussetzungen dürften für USA und Europa die selben sein. Das Problem liegt bei der Interpretation des TST. Da wir bis in die 80-er Jahre noch alle Neugeborenen geimpft haben, können wir bei einem positiven Hauttest eine Impfreaktion nicht ausschliessen. Weitere Probleme bei der Interpretation des TST betreffen die schon genannten falsch negativen Resultate bei unsachgemässer Applikation (fälschlicherweise Interpretation einer Konversion) und das Korrekte Ablesen der Induration (oft fälschlicherweise nur Rötung gemessen).

Eine Verbesserung der Diagnostik dürfte die in-vitro zelluläre Immundiagnostik der Zukunft bringen. Eine Diskussion dieser neuen Technik, die noch etabliert werden muss, findet sich in unserer Arbeit Hoffmann et al, Diagnostik der latenten Tuberkulose im neuen Millenium, SMF 10.12.2003

Horburgh, NEJM, 350:2060-7